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Zusammenhalt?

Das KFDM im neuen Stiftungsmagazin „Radar“ der Christoph Merian Stiftung

Seit jeher ist das Theater ein Ort, in dem Verhältnisse zwischen Mensch und Welt verhandelt und vor einem Publikum zur Schau gestellt werden. Aber Theater kann auch über blosses «Zeigen» hinausgehen. Das Theater Süd im Gundeli ist ein gutes Beispiel dafür. Die Kernkompetenz und das zentrale Anliegen der Co-Leiter:innen Regula Schelling, Christof Oser-Meier und Andreas Schmidhauser ist das Schaffen von Zusammenhalt: Bei ihnen wird der zeigende Ort zum geteilten Raum, in dem Menschen zusammenkommen, um als gemeinsam über Themen nachzudenken. Das ist nicht nur in sich eine Form von Zusammenhalt, sondern soll auch den Zusammenhalt im Quartier fördern, in dessen Dienst sich das Theater Süd versteht. 

Mit dem «Komitee für das Durcheinander und das Miteinander» (KFDM) wird dieser Ansatz nun fast schon radikal weitergedacht: Menschen aus dem Quartier sind eingeladen, zu einem Teil der Geschäftsleitung zu werden, um mit ihren eigenen Hintergründen und Ideen das Theater Süd in die Zukunft zu führen. Der Gedanke dahinter ist so einfach wie genial: Wenn sich ein Theater im Dienst «seines» Quartiers versteht, muss die Quartierbevölkerung an den strategischen und operativen Tätigkeiten beteiligt sein dürfen. Oder anders gesagt: Genuiner Zusammenhalt lässt sich nicht von einer Gruppe Theaterprofis inszenieren.

 

NAOMI GREGORIS IM GESPRÄCH MIT ANDREAS SCHMIDHAUSER, MITBEGRÜNDER UND CO-LEITUNG THEATER SÜD

Das «Komitee für das Durcheinander und Miteinander» klingt nach Chaos. Wie funktioniert es?

Der Name ist bewusst gewählt: Am Anfang ist es wirklich ein Chaos, weil verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, Wissen, Tätigkeiten und Kompetenzen zusammenkommen. Zu Beginn geht es darum, auszuhandeln, wie will man die Zusammenarbeit gestalten und in welcher Form kann sich jede:r gleichwertig einbringen. Im Laufe des Prozesses werden die inhaltlichen Ziele klarer eingegrenzt und Meilensteine festgelegt. Die Gruppe muss und will sich finden, weil man auch gemeinsam entscheidet, in welche Richtung das Theater Süd sich entwickeln soll. Alle Beteiligten sind für zwei Jahre Teil der Geschäfts­leitung, das heisst, sie haben eine hohe Entscheidungskompetenz. Der Fokus unserer Arbeit liegt darin, Gemeinsamkeiten im Durcheinander zu finden. Im besten Fall endet das «Chaos» dann im Miteinander.

Das Wort «Durcheinander» kann auch ein Ineinanderfliessen bedeuten.

Auch das darf passieren. Wichtig ist uns, dass wir nicht in unserer Bubble bleiben. Wir sind zu dritt in der Co-Leitung, bewegen uns alle in den gleichen Kreisen, sind aus ähnlichem Holz geschnitzt. Aber unser Anspruch ist es, ein Theater für alle zu sein. Dazu müssen wir Menschen mit anderen Lebensrealitäten und Sichtweisen hineinholen, die mit uns auf Ebene der Geschäftsleitung wichtige Entscheidungen treffen. Damit das, was wir auf der Bühne verhandeln, auch wirklich etwas mit den Leuten zu tun hat, die hier um uns herum leben.

Was erwarten Sie von den Menschen aus dem Quartier?

Das Wort Erwartung ist für mich mit Leistung verbunden, was so nicht ganz passt. Wir erwarten keine Leistung, sondern sind ganz einfach interessiert am Menschen. Wir legen viel Wert auf Beziehungsarbeit. Wir verstehen uns als ein Teil des Quartiers, wir leben und arbeiten hier und beteiligen uns am Quartierleben. Entsprechend zugänglich soll die Teilnahme bei uns sein. Im Theater Süd kann jede:r ab 15 Jahren mitmachen. Wer Lust und Zeit hat, ist dabei. Hinter oder auf der Bühne.

Warum ist es für Sie wichtig, dass Menschen aus dem Quartier mit einbezogen werden?

Im Englischen gibt es den Begriff «Community Theater», also das Theater im Sinne einer Gemeinschaft. So verstehen wir uns auch. Wir sind ein Theater im Gundeli, einem spannenden Quartier, und hier wollen wir auch aktiv «hinaus wirken». Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir die Leute mit einbeziehen und sie sich diesen Ort in gewisser Weise aneignen können. Wir machen also Theaterarbeit im Sinne einer Auseinandersetzung mit dem Quartier und seinen Bewohner:innen. Uns geht es auch darum, das Gefälle zwischen Institution und Quartier zu verringern. Unser Wirkungskreis soll aber nicht an der Postleitzahlgrenze aufhören. Zu uns kommen auch Menschen aus der ganzen Stadt und den umliegenden Gemeinden.

Um Theater ins Leben zu bringen und Leben ins Theater.

Genau.

Wie kann Theater den Zusammenhalt in einer Gesellschaft fördern?

Das Faszinierende am Theater ist, dass es live vor Ort passiert. Es geht um einen lokalen Moment, den man gemeinsam teilt. Leute kommen für eine oder zwei Stunden zusammen und setzen sich mit etwas auseinander, das auf der Bühne passiert. Dieses sich gemeinsame Widmen kann sehr verbindend sein – auch weil man zusammen etwas erlebt, das so nie wieder passieren wird. Es ist ein Raum, in dem alles möglich ist. Wo Utopien entstehen, wo die Gesellschaft gespiegelt werden kann, auch ganz lokal. Das fördert die Reflexion über Themen, die wir draussen erleben. Und es trägt zur Meinungsbildung bei. Und fördert im besten Falle den Zusammenhalt.

Welche Spuren hinterlässt Ihre Theaterarbeit in der Gesellschaft?

Wir hoffen, durch unsere künstlerische Arbeit ein Bewusstsein zu schaffen, was uns als Individuum und als Gemeinschaft ausmacht. Ein Ort zu sein, wo es selbstverständlich ist, gemeinsam und auf Augenhöhe über Themen nachzudenken. Das Arbeiten und Verarbeiten auf der Bühne, die Zusammenarbeit mit Menschen jeglicher Herkunft und die ständige Auseinandersetzung mit Lebensrealitäten machen das Theater Süd aus.

Im Quartier und bei den Bewohner:innen ist es hoffentlich die Erkenntnis, dass Theater viel mehr sein kann als eine Vorführung, sondern ein Ort der Begegnung, wo ich mich künstlerisch einbringen kann.

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